Das Kastenamt Tulgen

Obwohl zu den ältesten Orten der Umgebung zählend, erscheint Bayerdilling urkundlich vor dem Herzogsurbar nur zweimal - um 1147 und dann wieder 1214 als Tulingen im Urbar der Marschälle von Pappenheim. „Oehm de Tulingen und sein brüder haben zu Kettenberg ain Hof“, heißt es in dem Besitzverzeichnis der Pappenheimer wörtlich 1). Die erste urkundliche Erwähnung sagt über sein tatsächliches Alter nichts aus. Es sind Zufälle mit im Spiel, ob entsprechende Aufzeichnungen die Jahrhunderte überlebten und wann gerade ein Grundstücksgeschäft niedergeschrieben wurde. Auch die Stadt Rain, zwischen 1245 und 1250 gegründet, ist eher beiläufig in einer Urkunde von 1257 erwähnt und erscheint dann erst wieder ab 1280.

Die erste Urkunde

Bisher gaben die veröffentlichten mittelalterlichen Forschungen über den Gerichtsbezirk stets das Jahr 1214 als erste urkundliche Erwähnung von Bayerdilling an. Als wahre Fundgrube erwiesen sich die Traditionen des Klosters Indersdorf, die im Rainer Raum nur in den Handschriften des Ludwig Wilhelm Fischer (Stadtarchiv) Niederschlag gefunden haben und die Brücke zur wissenschaftlichen Auswertung durch Friedrich Hector Graf Hundt schlugen. Niederer Adel, der sich nach der einstigen Burg „de Strupen“ nennt, erscheint darin. Die erfreulichste Entdeckung war jedoch ein Hinweis auf eine Traditionsnotiz, deren Ausgangspunkt eine Urkunde von 1147 gewesen sein soll. Die Notiz berichtet, daß der Ezzo de Tannären (von Tandern bei Aichach) sein Gut in Effingen an einen Chunradus zur Sicherheit („ad conservandum“) übergibt. Wenn er, so in die heutige Sprache übersetzt „nicht von seiner vorhabenden Jerusalem-Reise zurückkehre“, bitte er jenen Chunradus, dieses Gut nach dem Tod seiner Gattin Richgard dem Kloster Indersdorf zu deren Seelenheil zu übergeben. Als Zeugen dieser Urkunde des Ezzo de Tannären sind unter anderem Fridericus de Tylingen, Rudegerus de Rietheim, Ruprecht de Stadelen und Adebertus de Burchheim genannt. Fridericus de Tylingen kann somit als erster namentlich überlieferter Ortseinwohner gelten; vermutlich hatte er seinen Adelssitz auf dem Kirchberg.

Literatur hierzu:

Friedrich Hector Graf Hundt, Die Urkunden des Klosters Indersdorf, in: Oberbayerisches Archiv 24. Das von ihm verwendete Kopialbuch der Traditionsnotizen dieses Klosters befindet sich in der Staatsbibliothek München, Signatur: cgm 1515 (= codes germanicus manuscriptus). Das Original ist verlorengegangen.

Mit dem Einsetzen der ersten urkundlichen Nachweise erreichte Bayerdilling schon seine größte geschichtliche Bedeutung. Das war in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Bayerdilling war in dieser Zeit ein Kastenamtssitz - man könnte die Funktion der Behörde mit einem Finanzamt vergleichen - der Wittelsbacher Herzöge, die 1180 Landesherren von Bayern geworden waren. Als wirtschaftlicher Mittelpunkt für die Güterverwaltung des Herzogs war der Ort zugleich Zentrum des Rainer Raumes. Oben auf dem Kirchberg stand, vielleicht um das Jahr 1200 eingerichtet 2) und etwa an der Stelle des heutigen Pfarrhofs, der umwehrte Sitz für Vogt und Kastenamt, wovon noch flache Wälle und Gräben erhalten sind. Bei der Installation der Wasserleitung an der nördlichen Seite des Kirchbergs kamen 1979 unmittelbar vor dem Schulgebäude meterdicke Mauerreste zutage. 3) Der Graben zur östlichen Absicherung verlief im Bereich des Mesnerhauses. Bei diesem um 1809 errichteten Gebäude auf dem aufgeschütteten Gelände zeigten sich noch in den vergangenen Jahrzehnte Risse, dir durch Senkungen hervorgerufen wurden.

Das erste Herzogsurbar der Wittelsbacher, ein Einnahmeverzeichnis von jährlichen Gefällen, Gilten und Zinsen, sei es in Naturalien oder in Gelderträgnissen, nennt unter der Überschrift „uf den chasten zu Tulin“ die Besitzungen der Wittelsbacher, die von Bayerdilling aus verwaltet wurden. 4) Für den Ort selbst sind ein Hof, neuneinhalb Huben, drei Mühlen, Zehent im Dorf, Hofstätten (keine genaue Zahlenangabe) und Zoll verzeichnet. Die Mühlen sind bezeichnet „gen Sallach“ (diese ist uns nicht mehr bekannt), dann die äußere und niedere, die als Hausnamen noch heute geläufig sind.

Bild im Buch:
Die erste Seite des ersten Herzogsurbar von 1224/30 für das Kastenamt Tulin. Der Text lautet: „Vf den chasten zu Tvlin. Tvlingen ain hof der giltet vier mvtter waitzn, zwainzic mvtte rocken, zwainzic mvtte habern, ain citic swin vnde siben frischinge, der iegelicher si ze vierzehn pfennige, zwainzic kaese, zehn hvnre, hvndert aier. Ain hvbe indeme selben dorf div giltet zwaene mvtte waitzen, zwaene mvtte rocken, sehs mvtte habern, ain swin zu drin schillingen, zehn kaese, zwai hvnre, fvr werchart sehzic pfennige. Div ander hvbe div giltet alse vil. Die dritte hvbe alse. Div vierde alse vil. Div fvnfte alse vil. Div sehste alse vil. Div sibende“

Insgesamt sind in dem zwischen 1224 und 1237 5) angelegten Verzeichnis elf Höfe, 50 1/2 Huben und die drei Bayerdillinger Mühlen genannt. Ein Hof hatte etwa 100 bis 150 Tagwerk Äcker und Wiesen, die Hube war ein halber Hof mit ca. 50 Tagwerk Acker- und Wiesenfläche. Eingetragen waren ferner im Urbar die Vogteirechte in Thierhaupten, Bergen, Wiesenbach und Neuburg. Die Lage der drei herzoglichen Mühlen spricht für die zentrale Bedeutung von Bayerdilling.

Vom Kastenamt Bayerdilling wurden zehn Huben in Stadel, neun Huben in Sulz, zwei Höfe in Peiching, ein Hof und dreieinhalb Huben in Haselbach, ein Hof in Mochenbach, eine Hube in Dezenacker, ein Hof und sechseinhalb Huben in Wächtering, zwei Huben in Hausen, zwei Höfe in Neuburg, ein Hof in Ried, ein Hof in Stuben, dazu noch Hofstätten mit weniger als 50 Tagwerk und Zoll- sowie Zehentrechte verwaltet. 6)

Das Urbar nennt aber auch Dörfer und Weiler, die wir nicht mehr kennen, die in einem der zahlreichen Kriege des späten Mittelalters niedergebrannt oder ausgestorben sind und die später nicht mehr aufgebaut wurden. Sieben Huben zählte das Amt zu Tulin allein in Gerfriedsweiler, acht Huben sogar in Hasenweiler; beide Orte sind nicht mehr zu lokalisieren, werden aber für den Raum zwischen Rain und Holzheim vermutet. Der Weiler Hochstraße, für den drei Huben aufgezeichnet sind, soll an der Römerstraße zwischen Oberpeiching und Staudheim gelegen haben. Die Straße wird noch heute zuweilen die Hochstraße genannt und die Ortseinfahrt von Oberpeiching aus Richtung Bayerdilling wurde von der Stadt Rain so amtlich bezeichnet. Noch schwieriger festlegen lassen sich die Orte Preitenau und Raentwinsloch, die mit einer Hube bzw. einem Hof im Urbar genannt sind.

Im Urbar sind die Gilten, die jeder Hof dem Herzog zu erbringen hatte, einzeln aufgeführt. Der Bayerdillinger Hof mußte demnach entrichten: vier Mutte Weizen, zwanzig Mutte Roggen, zwanzig Mutte Hafer, ein Schwein, sieben Frischlinge, zwanzig Käse, zehn Hühner und hundert Eier. Die Huben gaben zwei Mutte Weizen, zwei Mutte Roggen, sechs Mutte Hafer, ein Schwein zu drei Schillingen, zehn Käse, zwei Hühner, für Werchart 7) sechzig Pfennig. Die halbe Hube gab davon die Hälfte. Die Hofstätten gaben nur Geld, nämlich ein Pfund und 8 Pfennig Münchner Währung. Der Zehent erbrachte zwölf Mutte Roggen und zehn Mutte Hafer. Die Mühlen gaben jeweils zwei Mutte Weizen (die „niedere“ drei Mutte), acht Mutte Roggen, ein Schwein, zehn Käse, fünf Hühner und hundert Eier. Der Schwerpunkt der Abgabe liegt auf Roggen und Hafer, letzterer wegen Pferdehaltung von großer Bedeutung für die Herzogshöfe.

Vermutlich zwischen 1245 und 1250 von Herzog Otto II gegründet, wurde rund ein halbes Jahrhundert nach Einrichtung des Kastenamtes Tulgen die Stadt Rain wirtschaftliches und administratives Zentrum des wittelsbachischen Grenzlandes an Lech und Donau. 8) Das Kastenamt Bayerdilling wurde in die neugegründete Stadt verlegt. Das 2. Herzogsurbar ist 1280 bereits „in officio Rain“ (für das Amt Rain) angelegt worden. 9) Das Jahr der Verlegung ist in den Urkunden nicht festgehalten. Im Amt Rain ist ist gegenüber dem ersten Urbar für Bayerdilling ein zweiter Hof verzeichnet.

Durch die Wegverlegung des Amtes verlor Bayerdilling seine Mittelpunktfunktion, die Voraussetzung für den weiteren Aufstieg war genommen. Der Haupt-Güterbesitz in Bayerdilling kann seit der Zeit des Kastenamtes verfolgt werden. Aus den Händen der bayerischen Herzöge ging er durch Ludwig II. im Jahre 1257 (pfarrliche Rechte) und durch Kaiser Ludwig den Bayern in den Jahren 1317 bis 1323 (Mehrzahl der Höfe und Huben sowie die drei Mühlen, von denen eine bereits öde lag) an das Kloster Niederschönenfeld, das den Besitz bis zur Säkularisation im Jahr 1803 behielt.

Bayerdilling wäre nach dem Urteil von Historikern sicher zum Markt aufgestiegen, wäre nicht in nächster Nähe die Stadt Rain gegründet und der Amtssitz dorthin verlegt worden. 10)

Literaturhinweis:
Ingrid Heeg-Engelhart, Das älteste bayerische Herzogsurbar, in: Quellen und Erörterungen zur Bayerischen Geschichte, Band XXXVII, München 1990. Ab Seite 189 ist das Urbar „Uf den chasten zu Tulin“ editiert und analysiert.

Fußnoten:
1) ediert von W. Kraft, München 1929.
2) NK 1954, S. 65 und 68.
3) Wilhelm Biela, Geschichte von Bayerdilling in der Festschrift des Schützenvereins Gemütlichkeit 1981, S. 81.
4) MB XXXVIa, S. 89 ff.
5) NK 1954, S. 41.
6) MB XXXVIa, S. 89 ff.; Dorn S. 24 ff.
7) Werchart= Werch von Flachs und Hanf, das bei der Bearbeitung entsteht, hier eventuell Leinwerk, leinernes
Tuch (Schmeller, Band 2, S. 983).
8) Dorn S. 55 und 60.
9) MB XXXVIa, S. 165 ff.; Dorn S. 25 ff.
10) NK 1954, S. 86.